Autorin Jennifer Fortein

Jennifer Fortein wurde in den Neunzigern geboren und ist im Ruhrgebiet aufgewachsen. Ihre Bücher sind geprägt von düsterer Atmosphäre und kontroversen Denkanstößen. Ob sozialkritische Dystopie, verzwickter Thriller oder Romance-Story mit ungewöhnlichem Love Interest: Ihre Werke regen zum Nachdenken an und handeln von starken Frauen sowie dem Kampf gegen innere wie äußere Dämonen.

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Die Auftragsverführerin

Romance Thriller

Cover Die Auftragsverführerin

Veröffentlichungsdatum: n.b.

Genre: Romantic Suspense, Mafia Thriller

Würdest du einen Fremden töten, um dein Leben zu retten?

Yvonne wird wegen des Verdachts, ihren Ehemann Mitch blutrünstig ermordet zu haben, verhaftet. Doch Mitch hat seinen Tod nur inszeniert, um unter falscher Identität als Gefängniswärter jene Tyrannei an Yvonne fortzuführen, von der sie sich vormals zu befreien versuchte.

Um ihrem gewalttätigen Ehemann zu entkommen, lässt sie sich auf einen Deal mit dem zwielichtigen Anwalt Spencer Mauvais ein. Er verspricht, sie aus dem Gefängnis zu holen, wenn sie für seine kriminelle Organisation arbeitet. Als Auftragsmörderin soll sie Männer verführen und anschließend hinrichten. Doch Spencer ahnt nicht, dass Yvonnes Anziehung vor allem auf ihn wirkt ...

Wird Yvonne morden, um sich von Mitch zu befreien? Welchen Plan verfolgt Spencer? Werden die beiden als Team zusammenarbeiten oder sich gegenseitig zugrunde richten?

Leseprobe

1. Kapitel

~ Yvonne ~

Die Zellentür vor mir fesselt meinen Blick und erinnert mich kontinuierlich an die Realität, die ich noch nicht fassen kann. Mein Ehemann Mitch ist tot und ich soll ihn umgebracht haben.

Sämtliche Kraft weicht aus meinem Körper, während die Erkenntnis in mich einsickert, und ich lasse mich rücklings auf das Bett fallen. Ich wollte bloß vor ihm flüchten. Rund zwei Monate lang hatte ich es geschafft, seiner Tyrannei zu entgehen. Ich hatte meine eigene Wohnung bezogen und hatte erwogen, einen Anwalt zu kontaktieren, um ein Kontaktverbot und die Scheidung zu arrangieren. Doch in diesen ersten, ruhigen Wochen nach den vergangenen Jahren war ich froh, einfach nur durchatmen zu können und nicht riskieren zu müssen, ihm erneut zu begegnen, und sei es vor Gericht.

Diese Ruhe endete jedoch, als die Beamten aufkreuzten und mich in Untersuchungshaft brachten. Weil ich meinen Ehemann ermordet haben soll, auf eine grausamere Art und Weise, als ich sie mir selbst hätte ausdenken können. Ich soll ihn mit einer Axt erschlagen und die Überreste in den Rhein geworfen haben, sodass keine Leiche übrig blieb. Sein Verschwinden wäre nicht einmal aufgefallen, wäre da nicht sein Notruf unmittelbar vor seinem Tod gewesen, der mich als Täterin identifizieren soll.

»Kommen Sie schnell, meine Ehefrau will mich zerstückeln!«

Die Aufnahme, die mir die Beamten vorspielten, spielt sich in Dauerschleife in meinem Kopf ab. Das war zweifelsfrei Mitchs Stimme. Doch warum hat er das gesagt, wenn es nicht der Realität entsprach?

Was ist überhaupt passiert? Wer hat ihn ermordet und wieso? Und wie hat derjenige es geschafft, den Verdacht auf mich zu lenken?

Wenigstens ist Mitch nun endgültig tot und kann mich nie wieder einsperren, schlagen, vergewaltigen. Doch der Preis dafür werden viele Jahre meines Lebens im Gefängnis sein.

Obwohl ich noch nicht lange in der Zelle bin, höre ich erneut das Rasseln des Schlüssels im Schloss. Ich hebe den Kopf, als sich die Tür langsam öffnet und einer der Wärter im Türrahmen stehen bleibt.

»Hallo, Yvonne.«

Die tiefe männliche Stimme lässt mich auf die Beine springen. Normalerweise würde ich schwören, dass sie zu Mitch gehört, besonders, da ich das Echo seines Notrufes immer noch im Kopf habe. Doch das ist unmöglich, oder?

Der Mann tritt ein und schließt die Tür hinter sich, doch obwohl sein Gesicht, seine Haare und seine Uniform so stark von der Person abweichen, die ich einst liebte, wird mir mit jedem Schritt, den er näher kommt, klarer, dass mein Gehör mich nicht getäuscht hat.

Das ist Mitch. Der Mann aus meinen Albträumen. Vor allem jenen aus meiner Realität.

»Du lebst?«, stoße ich atemlos aus und weiche zurück.

»Oh, Baby, hast du dich um mich gesorgt?« Er tritt weitere Schritte auf mich zu, dann legt er sich eine Hand aufs Herz. »Das rührt mich.«

Schockiert springt mein Blick zur Tür hinüber. »Was machst du hier?« Meine Stimme bebt. »Ich wurde eingesperrt, weil ich dich ermordet haben soll! Wie kann es sein, dass du hier als Wärter arbeitest?«

»Ich habe ein paar Dinge arrangiert, Baby.« Mit der flachen Hand lehnt Mitch sich gegen die verschlossene Tür. »Dir musste doch klar sein, dass ich dir deinen kleinen Fluchtversuch nicht durchgehen lassen würde. Du gehörst zu mir und das wird immer so bleiben.«

Obwohl Kälte von den Zellenwänden abstrahlt, bricht Schweiß auf meiner Stirn aus.

»Nachdem du in dein vermeintlich neues Leben ohne mich aufgebrochen bist, habe ich nach dir gesucht, doch ich habe schnell gemerkt, dass ich dadurch zu viel Zeit verliere. Also habe ich meine Vorbereitungen gestartet. Ich habe mich unter falscher Identität und mit gefälschten Zeugnissen auf einen Job hier beworben und dann habe ich alles in die Wege geleitet, um meinen Tod vorzutäuschen – oder, genauer, den Mord an mir durch dich. Dies hier ist das einzige Gefängnis im Umkreis, also war mir klar, dass wir uns hier wiedersehen würden, nur eben so, dass du nicht mehr davonrennen kannst.«

Der Mann ist durchgeknallter, als ich es geahnt hatte, und dabei hat er mir seine dunkelsten Seiten bereits gezeigt.

Ich weiche weiter von ihm zurück, doch plötzlich kommt mir die Einzelhaftzelle noch kleiner vor. Aber uns umgeben sicher Kameras, oder? Hier kann er mir nichts tun, nicht wahr?

Mitch folgt meinem Blick zu den Decken, dann schüttelt er langsam den Kopf. »Das ist keine überwachte Haftzelle, Yvonne. Warum sollten wir dich denn in so eine stecken?«

Mein Körper knallt gegen die Wand hinter mir, wodurch ich endgültig erstarre. »Ich werde dich auffliegen lassen«, beginne ich, obwohl meine Stimme so atemlos klingt, dass keine Drohung mehr daraus zu erkennen ist.

Mitch lacht auf. »Was willst du tun, Yvonne? Willst du meinen neuen Kollegen erzählen, dass einer von ihnen das Mordopfer deines Falls ist? Das glaubt dir doch keiner.«

Ich schlucke schwer, denn wir beide wissen, dass er recht hat. Ich bin eine verrückte Mörderin, die sich mit so einer Aussage bloß zu retten versuchen würde. Niemand würde mir glauben, dafür hat er durch seine Vorbereitungen gesorgt. Deswegen kann er hier sein.

Mitch fährt mit der Hand über meine Wange, wodurch mein Körper in ein schmerzhaftes Zittern versetzt wird. »Jetzt ist der Moment, in dem du mir um den Hals fallen darfst.«

»Ganz sicher nicht«, zische ich. »Ich habe mich nicht umsonst getrennt.«

»Du hast dich nicht getrennt«, leugnet er die letzten Wochen. »Du bist bloß rausgelaufen und hast dich verirrt.«

»Aber ich …!«

Er unterbricht meinen Widerspruch, indem er den Zeigefinger auf meine Lippen legt. »Sag jetzt nichts Falsches, Baby. Ich habe die Wut über dein Verschwinden gerade erst überwunden.«

»Dann gewöhne dich besser daran, denn du hast mich verloren.«

Ich habe den Satz noch nicht zu Ende gebracht, da packt er mich bereits so heftig an den Wangen, dass mir das Weitersprechen unmöglich wird. »Ich werde nicht zulassen, dass du mich verlässt, Yvonne«, knurrt er. Sein Augenlid zuckt, das typische Anzeichen für ihn, dass er gleich ausrastet. »Wir werden immer wieder zusammenfinden. Und wenn ich dafür den Mord an mir vortäuschen muss.«

Obwohl er mich immer noch bedrohlich in der Mangel hat, funkle ich ihn böse an. »Du hast den verdammten Staat missbraucht, um mich für dich zu finden und einzusperren!«

Doch statt auf Gegenwehr zu gehen, lächelt er fies. »Zu irgendetwas muss diese Institution doch gut sein, oder?« Endlich lässt er mich los, doch er senkt langsam die Augenlider, wodurch sein Blick bedrohlich wird. »Ich wollte all das hier auch nicht, okay?« In ausschweifender Geste umfasst er die Zelle, in der wir uns befinden. »Aber du hast mir keine Wahl gelassen. Wenn ich den Eindruck habe, dass du deine Lektion verstanden hast, werde ich dir bei deinem Ausbruch helfen und dich zu mir holen.«

Nun klappt mir die Kinnlade herab. »Wie bitte?«

Mitch setzt ein anzügliches Lächeln auf. »Wir werden durchbrennen, Baby. Wir starten zusammen ein neues Leben. Jenes, das wir uns immer gewünscht haben, irgendwo abseits des Trubels, nur wir beide und ein paar wunderschöne Kinder, die wir bekommen werden …« Mit sanften Berührungen seiner Fingerkuppen streicht er von meiner Wange hinab bis zu meinen Brüsten. »Und bis dahin werde ich hier bei dir sein, um auf dich aufzupassen. Ich werde dich niemals alleine lassen.«

Ich werde dich niemals alleine lassen. Der Satz meiner dunkelsten Momente, auch wenn er augenscheinlich nicht danach klingt. Doch das ist jener Satz, der mir einen kalten Schauer den Rücken herab jagt, als würde er mich mit Eiszapfen durchlöchern.

»Wir sehen uns, Yvonne.« Und dann verschwindet er einfach so zur Tür hinaus, bevor er sie wieder hinter sich abschließt. Ohne dass jemand erkennt, was hier vor sich geht. Dass er mein angebliches Mordopfer ist und dass er derjenige ist, der eigentlich in diese Zelle gehört. Dass seine Anwesenheit bedeutet, dass ich unschuldig bin. Dass sie ein Phantom eingestellt haben, das zu dem einzigen Zweck erschaffen wurde, um mich zu brechen.

Das Schlimmste ist die Drohung, die er mit seinem Besuch hinterlassen hat. Ich bin nicht nur in diesem Gefängnis, sondern mit ihm eingesperrt. Mitch hat mich schon oft in unserer Wohnung eingeschlossen, doch noch nie war es so aussichtslos. Ich bin ihm hier völlig ausgeliefert. Seinem Willen, seiner cholerischen Impulsivität und seinem Fluchtplan, der sich für mich eher nach Kidnapping anhört. Denn ich würde nicht freiwillig mit dem Mann flüchten, der die dunkelsten Jahre meines Lebens ausgezeichnet hat.

Dennoch kann ich nur eingesperrt darauf warten, was er sich einfallen lässt. Er kann mir jederzeit antun, was er möchte, und ich habe keinerlei Chance, mich zu wehren.

2. Kapitel

~ Yvonne ~

Es sind bloß Stunden vergangen und dennoch ist bereits Angst mein permanenter Begleiter. Es ist mir kein fremdes Gefühl, ich kenne diesen anhaltenden Spannungszustand aus den gemeinsamen Jahren mit Mitch. Aber dennoch habe ich mich noch nie so ausgeliefert und hilflos gefühlt.

Jedes Mal, wenn Schritte an meiner Zelle vorbeiführen, setzt mein Herzschlag aus. Jedes Mal, wenn ein Wächter im Eingang steht, wird mir kurz schwarz vor Augen. Und an die Albträume, die mich letzte Nacht gequält haben, mag ich nicht einmal denken.

Mitch könnte in dieser Zelle alles mit mir anstellen und erst recht, wenn er mich herausgeholt hat – wie auch immer er das erreichen möchte. Doch er hat schließlich noch nie vor Kriminalität zurückgeschreckt, also wird er für diesen Schritt ebenfalls Wege finden.

In Momenten wie diesen, wo ich vor meinem eintopfähnlichen Brei im Speisesaal sitze, ist die Panik besonders groß, denn die Gefahr lauert wortwörtlich überall, nicht nur in Mitch. Mich umgeben mitunter gewalttätige Insassinnen und vermutlich sind sogar welche von den Wärtern auf seiner Seite.

»Hey, Schlampe.« Ich zucke zusammen, als mit einem Krachen eine Frau neben mir Platz nimmt und mit so viel Schwung ihr Tablett abstellt, dass meins noch ein Stück von mir wegrutscht. »Du bist neu hier, nicht wahr? Könntest bestimmt ein bisschen Starthilfe brauchen.« Dann lehnt sie sich zu mir herüber und deutet auf meinen Teller. »Wie wär’s also, wenn du mir deine Portion abgibst? Dir täte abnehmen sowieso gut und ich hätte mehr Kraft, um ein bisschen auf dich aufzupassen.«

Mein Blick springt kurz zu meiner angefangenen Portion hinunter. Das klang nicht nach einer Frage, die ich mit Nein beantworten könnte. Ich kann mir keinen Ärger leisten, denn wenn ich verurteilt werde, könnte ich viele, viele Jahre hier verbringen. Ich habe bereits genug Sorgen mit Mitch, ich brauche nicht noch weitere Feinde um mich herum.

Also schiebe ich wortlos meinen Teller hinüber, woraufhin die Frau ihn mit ihrer leeren Schüssel tauscht. »Kluge Entscheidung«, kommentiert sie, ehe sie nach dem Löffel darin greift.

Doch plötzlich bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie sie von der Bank weggezogen wird. Ich stoße einen erschrockenen Schrei aus, dann beobachte ich, wie Mitch sie auf den Boden wirft und anschreit: »Ich will solche Bedrohungen hier nie wieder erleben, sonst gibt es eine Sonderbestrafung für dich, verstanden?«

Atemlos beobachte ich die Szene. Hat er uns die ganze Zeit schon belauscht?

Er lässt die Frau los, die daraufhin wieder aufsteht und mir den Mittelfinger zeigt. Doch Mitch lehnt sich bereits zu mir hinüber, um die Teller zurück zu tauschen, während er mir ins Ohr flüstert: »Dafür musst du mir nachher noch danken.«

Ich schlucke schwer, als mir der Eintopf wieder entgegenschaut. Lieber hätte ich mit knurrendem Magen hier gesessen, als mich bei Mitch für irgendetwas zu bedanken, geschweige denn dafür, dass er auch noch den Hass der anderen auf mich zieht. Doch ich muss mich daran gewöhnen, dass er ab jetzt ständig bei mir ist. Für den Rest meines Lebens.

Ich kann ihm nicht entkommen.

Also löffle ich meinen Brei aus, während ich mit gesenktem Blick die aggressive Frau beobachte. Vielleicht sollte ich es positiv betrachten. Wenigstens wird Mitch mich hier herausholen und so verhindern, dass ich mich mit diesen Leuten auseinandersetzen muss. Dafür werde ich mit ihm eingesperrt sein und andere Qualen erleiden. Die Angst vor seinem nächsten Ausraster, die Prügel bei einem falschen Wort, die Schmerzen im Bett. Aber wenigstens ist es das Leben, das ich kenne.

Dennoch ertrage ich kaum die Ungerechtigkeit, die ich nur wehrlos hinnehmen kann. Mitch hat so viele Straftaten begangen, doch ich bin diejenige, die einer der schlimmsten angeklagt wird. Anstatt dass ihm eine Bestrafung bevorsteht, muss ich seine Strafe fürchten. Denn ich ahne, dass er meinen Aufenthalt im Gefängnis zusätzlich erschweren wird. Er nutzt sicher die Zeit, um mich weichzukochen, bis ich mich lieber von ihm befreien lasse, als länger hierzubleiben. Er wird mich quälen lassen, bevor er mich selbst quält. Und erst, wenn ich ihn als Retter in der Not anerkenne, wird er mich herausholen.

Und ich kann nur abwarten. Es über mich ergehen lassen, wie Mitch mich am Ende des Mittagessens zurück in die Zelle bringt. Mit einem anzüglichen Lächeln, das ich früher mal als charmantes Flirten missdeutete, schließt er die Tür hinter sich, dann fällt sein Blick auf mein Bett und ein kalter Schauer erfasst mich. »Mach dich fertig, Baby, wir haben einen Termin.«

Erleichterung und Verwirrung fluten mich gleichzeitig. »Einen Termin?«

»Dein Pflichtverteidiger spricht noch vor der Verhandlung mit dem Haftrichter mit dir«, erklärt Mitch und sein Lächeln stirbt. »Du weißt sicher, was du zu sagen hast.«

Ich runzle die Stirn. »Was habe ich denn zu sagen?«

»Bleib bei der Version, wegen der du hier bist. Sag nichts Dummes. Ich weiß, dass dir das von Zeit zu Zeit schwerfällt, Baby. Aber gestehe einfach, dass du mich umgebracht hast, und wir geraten nicht in Probleme.«

»Vor allem gerätst du nicht in Probleme«, zische ich.

Mitch reckt das Kinn und sein Augenlid zuckt. »Wir stecken hier gemeinsam drin. Du weißt doch, was wir uns geschworen haben: In guten wie in schlechten Zeiten.« Mit ausgestrecktem Zeigefinger tippt er mir gegen den Brustkorb, als würde er einen Dolch hineinrammen.

Ich unterdrücke ein Knurren, denn ich will Mitch nicht noch wütender machen und womöglich dazu bringen, dass er mich umbringt.

Könnte ich dem Anwalt klarmachen, dass Mitch lebt, wenn er mich zu diesem Termin begleitet? Könnte ich ihm sagen, dass sich mein angebliches Mordopfer keine zwei Meter von uns entfernt aufhält? Könnte er mir so helfen, mich freisprechen zu lassen? Oder riskiere ich bloß eine Bestrafung durch Mitch, wenn er meinen Verrat mithört?

»Ach, Yvonne«, beginnt er nun und deutet auf seinen Mund. »Nur ein kleiner Kuss. Damit ich noch weiß, dass sich meine Bemühungen um deinen Schutz lohnen.«

Ich stocke. Am liebsten würde ich Mitch anspucken, aber ich weiß, dass er sich diesen Kuss – genauso wie alles andere – mit Gewalt holen wird, wenn ich mich weigere. Also beuge ich mich zu ihm und drücke meine Lippen gegen seine. Doch obwohl ich nur eine kurze Berührung daraus machen wollte, schlingt Mitch sofort seine Arme um mich und intensiviert den Kuss, was Tausende kleine Insekten unter meiner Haut meinen Rücken hinabkriechen lässt. Gestank steigt mir in die Nase und für einen Moment frage ich mich, ob ich tatsächlich gerade von Kakerlaken infiltriert wurde. Alles in mir wehrt sich dagegen, als würde sich von innen heraus eine stachelige Gänsehaut bilden.

Schließlich wird das Gefühl so unerträglich, dass ich Mitch doch von mir wegstoße und zurück stolpere. Nur eine Sekunde später erwischt mich Mitchs Ohrfeige. Ich knalle zur Seite gegen das Bettgestell und bin kurz gelähmt vor Schock.

»Was soll das, Yvonne?«, fährt er mich an. »Hast du immer noch nicht verstanden, was deine verdammten Pflichten in einer Ehe sind?«

Ich schnaube wütend. »Ich habe verstanden, was du als meine Pflichten ansiehst. Deshalb wollte ich mich auch scheiden lassen.«

Als nächstes trifft mich sein Fuß im Oberschenkel, sodass ich auf den Rücken falle. »Mit mir wird es keine Scheidung geben! Die einzige Trennung, die wir erleben werden, ist durch den Tod.«

Obwohl mich meine eigene Schwäche anekelt, krieche ich weiter von ihm weg. »Vielleicht wäre mir der Tod lieber, als wieder mit dir zusammen zu sein.«

Wut kocht in Mitch hoch. »Ich habe mich stets um dich bemüht, ich habe so für unsere kleine Familie gekämpft. Und wie dankst du es mir? Nicht einmal einen anständigen Kuss bekomme ich, geschweige denn das, was mir wirklich zustände.« Er reißt mich mit einem Griff um meine Kehle hoch und stößt mich ins Bett, was angesichts seiner Worte einen kalten Schock durch meinen Körper jagt. »Ich kann dir bloß empfehlen, keine Scheiße zu bauen, Baby. Sonst werde ich in Zukunft nicht so vorsichtig mit dir umgehen.«

Ein unkontrolliertes Beben erfasst meinen Körper, als ich ihn böse anstarre, aber dennoch widerwillig nicke.

»Gut.« Endlich weicht Mitch von mir zurück. »Dann beruhige dich jetzt, ehe dich noch jemand so sieht. Ich hoffe, du erinnerst dich daran, dass du mir noch etwas schuldig bist.« Grob greift er mich am Oberarm, wischt die heißen Wuttränen von meinen Wangen und zerrt mich aus der Zelle hinaus und über die Gänge.

Das Schluchzen aus meiner Kehle habe ich erst verbannt, als wir den Besucherraum erreichen. Mitch prüft erneut mein Gesicht, ob er mich tatsächlich so vorführen kann, und schiebt mir einige Haare hinters Ohr, bevor er die Tür öffnet. Am Tisch sitzt bereits ein junger Mann in schwarzen Anzug, den ich selbst dann als Anwalt identifiziert hätte, wenn ich ihn außerhalb des Gefängnisses getroffen hätte. Doch der erste Eindruck eines unauffälligen, klischeehaften Erscheinungsbildes verfliegt, als er mit französischem Akzent zu sprechen beginnt: »Bonjour, Madame Leiffert. Ich bin Spencer Mauvais, Ihr Pflichtverteidiger.«

Und da stirbt meine letzte Hoffnung.

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